Leseprobe

Auszug aus dem Artikel

»Romantische Spaziergänge in Wien«

von Walter Juraschek

Sie existieren. Sie existieren sogar zuhauf, die romantischen Orte in Wien. Sie sind voll von Ästhetik und Geschichte. Will man sie entdecken, muss man sich etwas abseits der touristischen Pfade begeben.

Das Faszinierende ist, dass diese Orte oft nicht weit entfernt vom pulsierenden Leben der Innenstadt sind. Gehen wir einmal vom Stephansplatz in die Singerstraße – das dauert nicht länger als 30 Sekunden – dann treffen wir auf das Deutschordenshaus. Betreten wir den Innenhof, wähnen wir uns von einem Moment auf den nächsten in einer anderen Welt. Romantische Gebäude, mit Weinlaub bewachsen, das sich je nach Jahreszeit in einer anderen Farbe zeigt. Wir werden natürlich auch daran erinnert, dass hier Mozarts »zweite Karriere« startete, als er sich 1781 entschloss, Wien zu seinem Lebensmittelpunkt zu machen. Hier geschah es, dass er nach einem heftigen verbalen Schlagabtausch vom Sekretär des Fürsterzbischofs von Salzburg angeblich einen Tritt in den Allerwertesten erhielt. Aber das Bezauberndste an diesem Platz ist die fast schon meditative Stille, die der Besucher hier erfährt.

Unweit von diesem Ort haben wir die Möglichkeit, die ruhigen Innenhöfe in der Blutgasse zu besuchen. Der erste Hof, auch Fähnrichshof genannt, wird durch eine siebzig Jahre alte Platane dominiert. Im Mittelalter hatten sich hier Teile der Bürgerwehr versammelt, um von den Fähnrichen Waffen und Befehle zu erhalten, daher der Name. Durch einen schmalen Durchgang gelangen wir zum nächsten Hof, dem Pawlatschen Hof. Pawlatsche kommt aus dem Tschechischen (pavlač) und bedeutet »überdachter Balkon«. Diese noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts übliche Bauweise ist hier deutlich zu erkennen. Die Wohnungen hatten keinen Korridor, man betrat gleich von der Pawlatsche her die Wohnräume. Hinter dieser Bauweise steckte auch ein System. Da man sehr beengt wohnte, war es nur natürlich, dass sich viele Bewohner, um Luft zu schöpfen, auf die Pawlatschen begaben. Das allerdings hatte eine soziale Kontrolle zur Folge. Willentlich oder nicht – jeder beobachtete jeden. Somit wurden Verstöße gegen Sitte und Anstand schon im Keim erstickt.

Schlendern wir weiter durch die Gassen, die mit Häusern des 18. Jahrhunderts geschmückt sind, wie die Domgasse und die Grünangergasse, so werden wir in wenigen Minuten den Franziskanerplatz erreichen. Der Platz wird dominiert durch die Statue »Moses, aus dem Felsen Wasser schlagend, an dem sich die Juden laben«. Dieser Brunnen ist das schönste Werk des Bildhauers Johann Martin Fischer (1740 – 1820). Im Hintergrund befindet sich die Franziskanerkirche. Von außen eher schlicht – innen von atemberaubender Pracht. Rund um den Platz sind zahlreiche Cafés und Restaurants, die im Sommer die Gäste zum Verweilen unter freiem Himmel einladen. Obwohl der Platz doch recht belebt ist, strahlt er eine heitere Ruhe aus, und diese färbt auf die Menschen ab, die sich hier niederlassen.

Nur wenige Schritte entfernt liegt die Ballgasse, benannt nach einem Ballspielhaus, das sich hier im Mittelalter befand. Diese Gasse besticht durch ihre einheitliche Josefinische Bauweise (nach Kaiser Josef II. benannt, 1741 – 1790) und lässt romantische Gefühle aufkommen. Ganz besonders faszinierend ist das Haus Ballgasse 4. Es diente einst Beethoven als sichere Zufluchtsstätte, als im Frühling 1809 Napoleon vor Wien stand und die Stadt mit Kanonenkugeln attackierte. Beethoven lebte seinerzeit in der letzten Etage des Pasqualatihauses auf der Mölkerbastei. Ein zu riskanter Ort. Er floh deshalb zu seinem Bruder, der in der Ballgasse mit seiner Frau und seinem Sohn Karl wohnte. Übrigens: Das Haustor ist noch original, und es macht eine besondere Freude, das Holz zu berühren, das vom großen Meister selbst angefasst wurde. Und wenn wir schon bei Beethoven sind, begeben wir uns doch gleich zum Pasqualatihaus, das sich in einem anderen verträumten Winkel Wiens befindet.

Am besten ist es, wenn wir auf unserem Weg dorthin den Volksgarten durchqueren. Zahlreiche Rosensorten schmücken diesen einmaligen Park. In der Regel duften sie, die Besucher erhalten daher eine »kostenfreie Aromatherapie«. Sehr bald erreichen wir die Mölkerbastei. Hier, auf den Resten der alten Stadtbefestigung, lebte Ludwig van Beethoven von 1804 bis 1815. Allerdings nur im Winter. Im Sommer war das Klima in Wien nicht sehr erfreulich. Hier, im Pasqualatihaus, brachte er die 5. Symphonie, auch Schicksalssymphonie genannt, zu Papier. Das wunderbare Klavierstück »Für Elise« entstand ebenfalls an diesem Ort.

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Titelseite der vierten Ausgabe mit dem Stephansdom
Inhaltsverzeichnis der vierten Ausgabe

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