Leseprobe

Auszug aus dem Artikel

»Hoppauf, Herr Jud«

von Marius Pasetti

Das jüdische Leben der Zwischenkriegszeit war geprägt
von einem spannungsgeladenen Miteinander.
Versuche der Assimilation scheiterten zumeist.

Ausschlaggebend dafür war neben der real existierenden desaströsen ökonomischen Situation das Verantwortlichmachen von Flüchtlingen für dieselbe. Dieser Mechanismus funktionierte in schier allen Bereichen des Alltags- und Kulturlebens.

Sportlich konnten die Juden reüssieren: Die Anekdote erzählt von der Läuterung eines Wiener Fußballfreundes und wurde von Friedrich Torberg rückblickend fast 40 Jahre später in einem Fußball-Essay festgehalten. Sie spielte sich auf dem Vereinsplatz des Brigittenauer A.C. ab, wo der Gastgeber gegen die Mannschaft des jüdischen Sportvereins Hakoah anzutreten hatte. Die Ausgangslage, von Torberg aus der Retrospektive nicht ganz dem Tabellenstand entsprechend wiedergegeben, war folgende: Der A.C. Brigittenau lag in der Tabelle auf dem vorletzten Platz, und zwar einen Punkt vor dem Team von Vorwärts  06, einem Fußballverein aus Favoriten. Würde die Elf aus der Brigittenau gegen Hakoah verlieren, hätte Vorwärts 06 noch eine Chance, nicht in die dritte Klasse abzusteigen. Die Vorwärts-Anhänger unterstützten somit aus nachvollziehbaren Gründen die Kicker der Hakoah, wobei ein besonders lautstarker Mann herausstach. Als ein Hakoah-Spieler in Ballbesitz war, feuerte ihn der Fan mit einem zweimaligen »Hoppauf« an und wollte ihn dabei auch durchaus beim Namen nennen. Dieser war ihm jedoch nicht bekannt, sodass ihm beim dritten Mal ein »Hoppauf, Herr Jud« entkam. Sein Enthusiasmus dürfte so groß gewesen sein, dass er sich ein zu solchen Anlässen eher übliches »Hoppauf, Saujud« wohl selbst verbat.

Die Gründung der Hakoah geht schon auf das frühe zwanzigste Jahrhundert zurück. Grundidee war das Stigma, als Jude körperliche Anstrengungen nicht auf sich nehmen zu wollen, los zu werden. Die deutschen Sportvereine waren außerdem aufgrund diverser »Arierparagraphen« nicht zugänglich. In der Zwischenkriegszeit gelang es gerade der Fußball-Sektion der Hakoah, national und international Furore zu machen. Im Spätsommer des Jahres 1923 konnte die britische Top-Elf »West Ham United« mit einem klaren 5:0 abgefertigt werden. In der Saison 1924/25 wurde die Hakoah Österreichischer Meister. Die »Herren Juden« gingen zwei Jahre darauf als erste österreichische Fußballmannschaft auf Tournee in die Vereinigten Staaten von Amerika. Auch in anderen Sportarten, etwa Wasserball, machte sich die Hakoah einen Namen. Zumindest in diesem Bereich lässt sich wohl das jüdische Leben bis zum März 1938 als Erfolgstory lesen.

Etwa 300 000 Juden nahmen als Soldaten am Ersten Weltkrieg teil. Diejenigen von ihnen, die zurückkehren konnten, fühlten sich wohl immer noch als Teil des Vielvölkerstaates, wurden aber mit immer deutlicheren antisemitischen Tendenzen konfrontiert. Hinzu kam der Umstand, dass noch während des Weltkrieges zahlreiche polnische und galizische Juden nach Wien geflüchtet waren. Fasst man die Situation in Zahlen, so überstieg der Zuzug von jüdischen Flüchtlingen niemals die Grenze von 120 000, obwohl so mancher antisemitisch gesinnte Bürger behauptete, es wären 400 000. Der Großteil wurde zurückgeschickt, 35 000 blieben, weitere 9 000 mussten Anfang der 1920er-Jahre das Land verlassen, der verbliebene Rest zog sich den Unmut breiter Teile der Bevölkerung zu. Statistisch nicht zu beantworten ist freilich die Frage, wer sich unter den etwa zehn Prozent der damals in Wien ansässigen Juden als solcher fühlte oder verstand. Die orthodoxen Juden praktizierten ihren Glauben recht deutlich nach außen, die assimilierten bekannten sich zwar zu ihrer Religionsgemeinschaft, legten jedoch auf die Einhaltung der Liturgie und der Riten keinen allzu großen Wert. Eine dritte Gruppe ist bei jenen zu orten, die ihr Judentum verbargen und sich dem Katholizismus oder auf der anderen Seite dem Freidenkertum anschlossen.

Für die Antisemiten hatte diese Differenzierung im Grunde keine Relevanz, denn immer mehr trat das Kriterium der puren Abstammung in den Mittelpunkt der Abneigung. Dieser Umstand hatte sicherlich auch auf höchster politischer Ebene seine Gründe, die Christlichsoziale Partei verankerte bereits im Jahre 1918 in ihrem Programm die Verteidigung gegen die »jüdische Gefahr«. Wer Jude war, galt demgemäß als »volksfremd«, auch wenn er »assimiliert« war.

Auf der anderen Seite stand die Sozialdemokratische Partei, deren Anteil an jüdischen Politikern ein relativ hoher war. Obwohl auch die Sozialdemokraten vor allem aufgrund antikapitalistischer Argumente nicht gefeit waren, in antisemitische Parolen zu verfallen, waren sie doch eine bestens geeignete Zielscheibe, den Juden auf kommunaler Ebene das eine oder andere in die Schuhe zu schieben. Allen voran wurde das an Otto Bauer praktiziert, der nach dem Ersten Weltkrieg als damaliger Außenminister den Friedensvertrag von St. Germain unterzeichnete.

Überaus prekär gestaltete sich die Situation an der Wiener Universität. Ab den 1930er-Jahren standen Störungen von Vorlesungen gewissermaßen auf der Tagesordnung. Richard Thieberger, der Österreich 1938 in Richtung Frankreich verließ und zu einem der renommiertesten Romanisten seiner Zeit avancierte, erinnert sich an seine Studienzeit in Wien: »Von Zeit zu Zeit – und immer öfter – wurde eine Hörsaaltür aufgerissen und eine Horde von Schlagwaffen schwingenden Rowdys grölte: Juden hinaus.«

Diskriminierung dominierte auch die Personalpolitik an der Wiener Universität. So wurden der international anerkannte Altgermanist Max Hermann Jellinek und der Literaturhistoriker Robert Franz Arnold unter Bundeskanzler Kurt Schuschnigg zwangspensioniert. Einziges Kriterium dafür war ihre jüdische Abstammung. Bereits im austrofaschistischen »Ständestaat« zeigte sich das Bestreben, Juden von akademischen Stellen auszuschließen. Dies betraf als absolute Novität auch die freien Berufe wie Ärzte oder Anwälte. Die Nationalsozialisten konnten sich auf einem relativ gut vorbereiten Terrain breitmachen, ja zeigten sogar Erstaunen darüber, wie sehr sich die Antipathie der Bevölkerung ohne ihr direktes Zutun äußerte.

Das jüdische Alltags- und Kulturleben zwischen den beiden Weltkriegen spielte sich also nicht bloß in beschaulicher Idylle ab, wie es die Geschichte und Entwicklung des Sportvereins Hakoah suggerieren könnte. Knapp nach dem sogenannten Anschluss wurde der Verein aufgelöst, die Sportstätten von den Nationalsozialisten beschlagnahmt. »Hoppauf, Herr Jud« erhielt nun eine ganze andere Bedeutung, obwohl die Nationalsozialisten sich dieser Höflichkeitsformel sicher nicht bedienten.

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