Leseprobe

Auszug aus dem Artikel

»Die Wiener Hexe«

von Christa Bauer

Die katholische Kirche lehnte bis ins 13. Jahrhundert den Glauben an Hexen sowie Teufelskulte ab und bezeichnete sie als Torheit. Im Canon episcopi, einer kirchenrechtlichen Schrift von 906, werden Zauberei und Aberglaube ausdrücklich zurückgewiesen. Allerdings ließ die Kirche »Ketzer« verfolgen, die vermeintlichen religiösen Irrlehren anhingen. Diese bestrafte man mit aller Härte: Wer der Ketzerei nicht abschwören wollte, kam auf den Scheiterhaufen.

Die Inquisition wurde offiziell 1231 durch Papst Gregor IX. eingeführt und in die Hände von Bettelmönchen, allen voran den Dominikanern, gelegt. Papst Innozenz IV. gestattete in seiner Schrift »Ad Extirpanda« (1252) außerdem die Anwendung der Folter. Zu dieser Zeit begann ein Umdenken in der katholischen Kirche in Bezug auf die Zauberei. Vor allem der angesehene Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1225 – 1274) leitete mit seiner Schrift »Summa theologica« den Umschwung ein, in der er die »Macht der Dämonen« beschrieb, die sich vor allem mit »Weibern« mischen und sie so zum Unglauben bringen würden. Damit wurde die Verfolgung von Ketzern auf die angeblichen Hexen ausgeweitet, die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen verschwammen immer mehr.

Papst Johannes XXII. bestimmte 1326 in seiner Schrift »Super illius specula«, die Zauberei ebenso wie die Ketzerei zu verfolgen. Hier finden sich erstmals die fünf Hauptdelikte, die man den Hexen zum Vorwurf machte: Schadenzauber, Pakt mit dem Teufel, Buhlschaft mit dem Teufel, Hexenflug und Teilnahme am Hexensabbat. Gerade im 14. Jahrhundert, das unvorstellbares Unglück in Form von Naturkatastrophen oder des Ausbruchs der Pest mit sich brachte, fielen diese Behauptungen bei den verunsicherten Menschen auf fruchtbaren Boden. Irrationale Ängste wurden geschürt, man suchte einen Sündenbock für diese Heimsuchungen, und fand ihn unter anderem in den Hexen. Sie waren Schuld an allen Übeln, die man sich nicht auf natürlichem Weg erklären konnte. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch die »Hexenbulle« (1484) von Papst Innozenz VIII., in der die Verfolgung von Hexen ausdrücklich angeordnet wurde. Durch den Buchdruck verbreitete sich der Glaube an Hexen ab dem 15. Jahrhundert enorm schnell. Hetzerische Schriften wie der »Hexenhammer« (»Malleus maleficarum«) der Dominikaner Heinrich Kramer (latinisiert Heinrich Institoris) und Jakob Sprenger, von dem ab 1486 zwischen 30 000 und 50 000 Exemplare ausgegeben wurden, erfuhren rasch große Bekanntheit.

Die meisten Hexenprozesse fanden nicht im Mittelalter, sondern in der Neuzeit statt, und zwar zwischen 1570 und 1690. Eine auffällige Häufung ist während besonders schwieriger Zeiten wie etwa dem Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert zu verzeichnen. Der letzte Hexenprozess, der mit einer Hinrichtung endete, fand in Europa gar erst 1793 im Großherzogtum Posen (heute Polen) statt. Die protestantische Kirche verfolgte Hexerei ebenfalls unbarmherzig, zumal Martin Luther selbst an die Existenz von Hexen glaubte und den »Hexenhammer« ausdrücklich lobte. Schätzungen zufolge wurden in protestantischen Regionen mehr Menschen wegen dieses Delikts hingerichtet als in katholischen.

Die Prozesse selbst lagen in den Händen von weltlichen Gerichten. Natürlich stand hinter so mancher – meist anonym vorgebrachter – Anschuldigung nichts anderes als eine gute Möglichkeit, unliebsame Personen aus dem Weg zu räumen. Die Beschuldigungen waren vielfältig: vom Hagelzauber oder Milchzauber (mit dem man das Vieh krank machte) über Hostienschändung bis hin zum Mord an ungetauften Kindern (wobei der Nachweis, dass diese ungetauft waren, naturgemäß fehlte). Auch das »Nestelknüpfen« war ein beliebtes Delikt – damit sollen Hexen dafür gesorgt haben, dass Ehen unglücklich wurden und kinderlos blieben. Hexen nahmen am Hexensabbat teil und trieben dabei Unzucht mit dem Teufel. Als bewährtes Transportmittel galt der Hexenbesen, aber auch auf Holzbänken oder Backschaufeln sollen sie unterwegs gewesen sein, eingeschmiert mit einer »Flugsalbe«. Als weiterer Beweis, eine Hexe zu sein, galt das »stigma diabolicum«, das Hexenzeichen. Um dieses zu finden, rasierte der Henker die betroffenen Frauen am ganzen Körper, sogar die Schamhaare wurden dabei entfernt. Fand man ein Hexenzeichen – bei denen es sich um Leberflecken, Warzen oder Muttermale handelte – stach der Henker mit einer Nadel hinein. Floss dabei kein Blut, bestätigte sich der Verdacht: Es handelte sich um ein Teufelsmal oder um eine »eingeheilte« Hostie, bei der eine gestohlene Hostie in eine Wunde gelegt wurde, bevor diese wieder verheilte. Gab eine Frau ihre Vergehen nicht zu, wurde sie der Folter oder der »Wasserprobe« unterzogen: Fein säuberlich zu einem Paket verschnürt, warf man sie ins Wasser. Schwamm sie oben, war sie eine Hexe und landete auf dem Scheiterhaufen. Ging sie unter, galt das zwar als Beweis für ihre Unschuld, tot war sie trotzdem – ertrunken.

All dies zeigt: War man erst als Hexe beschuldigt, hatte man kaum eine Chance, dem Tod zu entgehen. Und die wenigen, die es doch schafften, blieben ihr Leben lang stigmatisiert und von der Gesellschaft ausgegrenzt. Verbreitet wurden die Geschichten der Hexenprozesse durch öffentliche Verlesung der Urteile, durch Flugblätter, die auf Jahrmärkten verteilt wurden und vor allem durch flammende Predigten, die so mancher Pfarrer von der Kanzel herab donnerte. Einige Messbesucher werden dadurch überhaupt erst auf die Idee gekommen sein, sich so unangenehme Mitmenschen vom Hals zu schaffen. Dass die Anklagepunkte und die Aussagen der Beschuldigten einander auffällig ähneln, ist auch keine Überraschung, da die Ankläger über standardisierte Fragenkataloge verfügten und Suggestivfragen stellten. Der erste gut dokumentierte Prozess auf heutigem österreichischem Boden fand 1485 in Innsbruck statt. Angestoßen wurde er von den oben bereits erwähnten Verfassern des »Hexenhammers«, Kramer und Sprenger. Kramer hielt in Innsbruck hetzerische Predigten gegen die Hexerei und forderte seine Zuhörer offen zur Denunziation verdächtiger Personen auf. Damit trat er eine Lawine los: So behaupteten etwa Männer, ihre Nachbarin hätte sie durch Zauberei impotent gemacht, ihre Frau getötet oder ihnen zumindest Liebeskummer angehext. Die Folge war, dass 48 Frauen und zwei Männer von Kramer einvernommen wurden, wobei er sich auffällig für die sexuellen Handlungen der Frauen mit dem Teufel interessierte. Am Ende klagte Kramer sieben Frauen der Hexerei an und eröffnete einen Prozess, den er mit unglaublicher Brutalität und alle Prozessregeln ignorierend zu einem raschen Ende bringen wollte. Der zuständige Bischof, Georg Golser von Brixen, war jedoch misstrauisch geworden und entsandte einen Vertreter zur Überwachung Kramers. Wegen Verfahrensfehler wurde der Prozess abgebrochen, Kramer musste die Angeklagten entlassen. Bischof Golser empfahl Kramer, Innsbruck so schnell wie möglich zu verlassen, was dieser zähneknirschend tat. Golser bezeichnete Kramers »Hexenhammer« übrigens als »Spinnerei«. Dieser Hexenprozess war also gescheitert.

Leider war das in den folgenden Jahrhunderten nicht immer so, sodass letztlich von mindestens 1 000 Todesopfern in Österreich ausgegangen werden muss. Der einzige Hexenprozess Wiens, der tatsächlich mit der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen endete, ereignete sich 1583. Das Opfer war Elisabeth Plainacher, genannt Elsa. Sie wurde 1513 in Pielamund bei Melk in Niederösterreich geboren …

Lesen Sie mehr über Wien im religiösen Wandel im gedruckten Magazin.

Titelseite der vierten Ausgabe mit dem Stephansdom
Inhaltsverzeichnis der vierten Ausgabe

Abo-Bestellformular