Leseprobe

Auszug aus dem Artikel

»Von der Prinzessin zur Blumenfrau«

von Barbara Wolfingseder

Das hysterische Weib in Familie und Gesellschaft – Zum Falle der Kronprinzessin von Sachsen«, lautete der Titel einer Broschüre aus dem Jahre 1903, die noch heute als Taschenbuch erhältlich ist. Eine weitere ärztlich-psychologische Betrachtung, die im selben Jahr unter der Überschrift »Geistige Störung oder Lüsternheit! – Der Fall Kronprinzessin Louise und Giron« herausgebracht wurde, entspricht ebenfalls dem gängigen Hysterieverständnis der Jahrhundertwende.

Das Wort »Hysterie« kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Gebärmutter. So gesehen mag uns der Begriff ja noch passend erscheinen, immerhin schenkte Luise sieben Kindern das Leben. Heutzutage wird der Ausdruck »hysterisch« in der medizinischen Terminologie nicht mehr verwendet, da er abwertend gefärbt ist. Stattdessen wird Menschen, die eine labile, übertriebene Emotionalität mit großem Aufmerksamkeitsbedürfnis an den Tag legen, eine »histrionische Persönlichkeitsstörung« diagnostiziert. Damals aber wurden Frauen, die ein etwas theatralisches, ekstatisches Verhalten zeigten oder einfach etwas lebenslustiger als der Durchschnitt waren, als Hysterikerinnen abgestempelt und zu Tausenden in Nervenheilanstalten verbannt. Hysterie war die Frauenkrankheit schlechthin. Und wie man an folgender Geschichte erkennen kann, hat dieses Phänomen Damen aus allen Schichten betreffen können.

Am 2. September 1870 erblickte die Erzherzogin als zweites Kind von Ferdinand IV. Salvator, dem letzten Großherzog von Toskana, und dessen zweiter Ehefrau Alix von Bourbon-Parma, in Salzburg das Licht der Welt, wohin die Familie ins Exil gegangen war. Sie wurde, der Tradition entsprechend, mit einer Unmenge an Vornamen bedacht: Luise Antonia Maria Theresia Josepha Johanna Leopoldine Karolina Ferdinande Alice Ernestina lautet die vollständige Liste. Ihre Kindheit verlebte die Prinzessin und Erzherzogin von Österreich strikt nach Etikett und Protokoll mit ihren zehn Geschwistern in der Salzburger Residenz. Die Kinder wurden streng und spartanisch erzogen, was Luise in ihren Memoiren mit den Worten: »Wir waren geistvolle Automaten« grimmig beschrieb. Obwohl die Mahlzeiten karg, die Betten hart und die Strafen drastisch gewesen sein sollen, erinnerte sie sich später gerne an ihre Mädchenjahre, die dennoch unbeschwerte und heitere Momente beinhaltet haben dürften. Luise entwickelte sich zu einer temperamentvollen, lebenslustigen jungen Frau, war an den schönen Künsten interessiert und konnte ein attraktives Äußeres aufweisen. Vor allem Letzteres machte sie zu einer gefragten Partie auf dem Heiratsmarkt. Selbstbewusst wies sie einige Anwärter zurück, darunter den zukünftigen König von Bulgarien, und entschied sich für Prinz Friedrich August von Sachsen, der immerhin als Erbe des sächsischen Königthrons vorgesehen war. Die Hochzeit fand 1891 in Wien statt, danach zog das Paar an den Dresdner Hof, wo der Frischvermählten die Lebenslust nun gründlich ausgetrieben wurde.

Von ihrem kleingeistigen Schwiegervater Georg von Sachsen, der von Luises unkonventionellen Tendenzen nur wenig hielt, wehte ihr von Anfang an ein harscher Wind entgegen: »Es ist ein Unglück, dass du in unsere Familie gekommen bist, denn du wirst niemals eine der Unsrigen.« Interessanterweise war König Georgs jüngere Schwester Anna die erste Ehefrau von Luises Vater Ferdinand. Sie starb mit erst 23 Jahren kurz nach einer Totgeburt.

Der bigotte und von Doppelmoral durchtriebene Griesgram, der in seinem religiösen Wahn oft stundenlang in der Hauskapelle kauerte, ließ seine Schwiegertochter durch eine seiner ehemaligen Mätressen bespitzeln, die er ihr als Obersthofmeisterin zuschanzte. Auch Luises Beichtvater wurde dazu angehalten, ihr intime Geheimnisse zu entlocken.

Pflichtbeflissen gebar sie sechs Kinder – eines davon kam tot zur Welt – doch die Intrigen am Hof, an denen sich auch der Innenminister und ihre Schwägerin Mathilde eifrig beteiligten, machten ihr zunehmend das Leben schwer. Jede noch so lächerliche Kleinigkeit wurde ihr zum Verhängnis. Als etwa bemerkt wurde, dass sie heimlich das Radfahren erlernt und somit ihren Bewegungsradius unerlaubt erweitert hatte, entspann sich ein gröberer Tumult. Sie tat Dinge, die sich für eine Prinzessin einfach nicht geziemten. Mit den Kindern in der Elbe baden gehen oder alleine Einkäufe erledigen? Dafür gab’s Hausarrest. Das Leben wurde immer enger für Luise.

Ihr Gemahl mischte sich vorsichtshalber in nichts ein, er duckmäuserte sich lieber zur Jagd oder frönte anderen Passionen, die ihm seine heilige Ruhe verschafften.

Als Luise mit dem siebten Kind schwanger war, kam es zum Eklat. Sie wurde bezichtigt, eine Affäre mit dem Sprachlehrer ihrer Kinder zu haben, einem Belgier namens André Giron, der auch der Vater des Ungeborenen sein solle. Die beiden flohen kurz vor Weihnachten 1902 an den Genfer See, worauf die deutsche Geheimpolizei eingeschaltet wurde, um einen öffentlichen Skandal zu verhindern, was allerdings nicht gelang. Das sächsische Ehedrama wurde zum ersten Skandal des deutschen Hochadels im 20. Jahrhundert. Die Zeitungen überboten sich mit Sensationsgeschichten, und Karl Kraus zitierte in der Fackel einen Zeitungsausschnitt wie folgt: »Eine Frau ist über Bord, welche, obwohl künftige Königin, Gattin und Mutter, obwohl aus ältestem Herrscherblut entsprossen, dem Spiel ihrer natürlichen Triebe sich williger als den Forderungen des königlichen Stolzes hingab.«

In der Schweiz traf die entflohene Kronprinzessin ihren Bruder Leopold, der gerade dabei war, seinen Austritt aus dem Kaiserhaus vorzubereiten, da er nicht von seiner Geliebten, der Prostituierten Wilhelmine Adamovic, ablassen konnte. Im Jahr darauf schritt er mit ihr vor den Traualtar.

Der sächsische Hof drohte, Luise in eine Irrenanstalt einweisen zu lassen. Am 20. Jänner 1903 reagierte Kaiser Franz Joseph auf das Fehlverhalten von Luise mit einem Suspendierungsschreiben und ließ sie aus dem genealogischen Verzeichnis der Familie Habsburg streichen.

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Titelseite der vierten Ausgabe mit dem Stephansdom

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