Leseprobe Ausgabe 2/16 »Der Wiener Prater«
Auszug aus dem Artikel
»Die großen Praterdynastien«
von Christa Bauer
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»Im Prater aufzuwachsen, das war schon eine tolle Sache«, schwärmt Astrid Schaaf noch heute von ihrer Kindheit. »Wir sind im Sommer meistens im Badeanzug herumgelaufen, oft noch nass nach dem Baden mit dem Karussell gefahren oder mit dem Autodrom. Wir konnten ja überall hinein und alles kostenlos benützen.«
Astrid Schaaf gehört zu der großen Praterdynastie Schaaf, die seit mehr als 150 Jahren ihre Attraktionen anbietet. Ihre Familie arbeitet und lebt auf dem Pratergelände und betreibt auch heute noch zahlreiche Einrichtungen.
Gegründet wurde das Praterimperium der Familie von August Schaaf (1821 – 1885). Geboren wurde er in Leipzig-Reudnitz. Sein Vater war »Samengärtner«, und folglich fuhr auch August mit seinem Pferdewagen auf die Märkte. Eines Tages traf er einen alten Mann, der mit einem Kasperltheater herumzog. Da die beiden Männer oft dieselben Märkte ansteuerten, reisten sie gemeinsam. Nur zum Spaß trat August hin und wieder als Puppenspieler auf und hatte damit großen Erfolg. Kurzerhand kaufte er dem Alten das Kasperltheater ab und wurde Schausteller – er war gerade einmal um die zwanzig Jahre alt.
Zug um Zug baute er sein kleines Unternehmen aus. Er kaufte Affen und Seelöwen von der Firma Hagenbeck in Hamburg, dressierte sie und präsentierte sie dem begeisterten Publikum. Großen Erfolg hatte er vor allem mit dem Riesenschwein »Hans«, das groß wie ein Nilpferd war und bei Hitze mit feuchten Tüchern gekühlt werden musste. August bereiste mit seiner Menagerie ganz Europa, ab 1853 gemeinsam mit seiner Frau Hermine und den beiden später geborenen Söhnen Friedrich Carl und Leopold.
Sein Betrieb war 1862 um ein Affentheater mit 20 Affen erweitert worden. Dazu gehörte auch ein etwas renitenter Pavian, der frei herumlief, bis er eines Tages Friedrich Carl biss. Daraufhin verkaufte August den ganzen »Affenstall«. Dafür hatte er nun eine neue Attraktion, nämlich den »Riesenknaben Heinrich«, der zwar meistens nur faul herumlag, sich aber gegen ein Stück Zwetschenkuchen dem werten Publikum zeigte. Die Schau wurde auch noch um einen »echten schwarzen Wilden« und ein »sehr dickes, aber auch schönes Mädchen« namens Emilie Folke erweitert.
1865 wurde die Familie zum Teil sesshaft: August kaufte eine Hütte von einem Schausteller namens Redl im Prater und wurde »Bankist«, wie man die Schausteller damals nannte. Dabei übernahm er auch Redls »Panoptikum« mit Figuren aus Gips, darunter Siamesische Zwillinge und Indianer. Das mittlerweile verstorbene Riesenschwein Hans wurde durch ein neues ersetzt, und die menschlichen »Ausstellungsstücke« wurden auch ständig mehr, dazu gehörten neben der »Dicken Emilie« die »Riesin Elisabeth«, ein Mädchen ohne Arme und Beine, Kleinwüchsige und zwei Riesenschwestern.
August erwarb ein Haus im zweiten Bezirk, dennoch war er weiterhin in ganz Europa unterwegs und kam dabei bis nach St. Petersburg und Moskau. Hermine Schaaf starb im Alter von nur 36 Jahren, August heiratete 1870 Auguste Wilfert, die aus einer alteingesessenen Praterfamilie stammte. Das Paar bekam vier weitere Kinder: Max, Sophie, Richard und Hermine. Nach Augusts Tod führte Auguste den Betrieb weiter, bis ihn ihr Stiefsohn Friedrich Carl übernehmen konnte.
Friedrich Carl (1859 – 1935) machte eine Schlosser- und Buchbinderlehre, aber es war klar, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten würde. Gemeinsam mit seinem Freund, dem Zoodirektor und Tierhändler Carl Hagenbeck, unternahm er Tourneen, die ihn bis nach Buenos Aires führten. Friedrich Carl liebte aber Wien und den Prater, daher kehrte er 1884 zurück und heiratete die Schwester seiner Stiefmutter, Emilie Wilfert, mit der er drei Kinder hatte: Rosa, Karl und Maria. Gemeinsam mit seinen Freunden im Prater, Ludwig Pretscher und Hermann Präuscher, baute Friedrich Carl 1886 eine Rutschbahn neben dem damaligen Circus Busch. Die drei Männer waren enorm erfolgreich und galten zu Recht als »die drei reichsten Männer des Praters.«
Einige Jahre später eröffnete er eine menschliche Schau, später kamen zahlreiche weitere Unternehmen dazu. Friedrich Carl forderte außerdem, dass die Praterattraktionen auch im Winter geöffnet blieben, was er 1906 durchsetzen konnte.
1876 vergrößerte sich die Familie Schaaf-Wilfert um einen außergewöhnlichen Menschen: Nikolai Kobelkoff. Dieser wurde 1851 in Wossnesensk (Russland) geboren – und zwar ohne Arme und Beine. Sein Vater, der Bürgermeister des Ortes, ließ seinem Sohn eine völlig normale Erziehung zukommen, außergewöhnlich für die damalige Zeit. Nikolai war unglaublich geschickt, mit nur zwei Jahren begann er, auf seinen Beinstümpfen zu laufen, und seinen rechten Armstumpf verwendete er, um sich anzukleiden, zu essen und zu trinken. Er verfügte über eine rasche Auffassungsgabe und einen scharfen Verstand. Seine schulischen Leistungen waren entsprechend hervorragend, und auch das Schreiben erlernte er nahezu mühelos: Er klemmte die Feder einfach zwischen Wange und Armstumpf. Er konnte jagen und fischen, lenkte Pferdegespanne, indem er sich die Zügel um den Nacken schlang und war trotz seiner Behinderung ein ansteckend fröhlicher Mensch. Mit achtzehn Jahren wurde er Beamter in den Goldminen von Balbuck, und vielleicht wäre er dort geblieben, hätten ihn sein Fernweh und die Neugier nicht nach Moskau getrieben.
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