Leseprobe

Auszug aus dem Artikel

»Glocken und Uhren«

von Regina Engelmann

Da gängige Zeitmesser wie Kerzen und Sanduhren sehr ungenaue Angaben lieferten, war es Aufgabe der Kirchen, die verbindliche Zeit akustisch und optisch anzuzeigen. In St. Stephan ist eine solche Zeitanzeige ab dem Jahr 1380 belegt.

Mit dem Bau des Südturmes installierte man 1417 in der Glockenstube die erste mechanische Uhr, die 1449 ersetzt wurde. Sie war mit einem Zifferblatt ausgestattet, an dessen praktischem Nutzen sich allerdings zweifeln lässt: Erstens wurden nur die Stunden angezeigt und zweitens dürfte diese Uhr, über die Wolfgang Schmeltzl in seinem »Lobspruch der Stadt Wien« aus dem Jahr 1548 schreibt »gerecht sy geht, danach sich jeder hab zu richten, wiewol die Ziffer clain«, ein Zifferblatt von nicht mehr als 60 Zentimetern Durchmesser gehabt haben, wie sich aus Schmeltzls weiteren Angaben errechnen lässt. Außerdem ließ die Genauigkeit dieser Uhr zu wünschen übrig. Etliche Kommissionen besprachen sich bei »visch, wein, pier, prat krevsen, picklingen, käss, airschmalz« über die Ursachen. 1561 wurde ein neuer Zeitmesser installiert. Mitte des 16. Jahrhunderts stattete man den Türmer mit einer »Reissuhr« (einer beständig laufenden Sanduhr) aus, »hernach er die haupbuhr richten solle«. Ein eigener Wächter war fürs morgend- und abendliche Aufziehen bestellt, wobei »ein kleins öferl« dafür zu sorgen hatte, »damit die kelten nit schaden thue«.

Auch eine steinerne Sonnenuhr auf dem Südchor, die seit 1554 belegt und damit die älteste noch existierende Uhr am Dom ist, diente zur richtigen Ausrichtung der mechanischen Uhren.

Eine der Uhren hat sogar ihren Weg ins Uhrenmuseum der Stadt Wien gefunden. Sie wurde im Jahr 1700 vom Schlosser und Uhrmachermeister Joachim Oberkircher gebaut, ist 700 Kilogramm schwer und hat erstmals Zifferblätter mit zwei Zeigern: einen großen in der Länge von zwei Metern für die Stunden und einen kleinen von einem Meter für die Minuten.

Die erste elektrische Uhr wurde 1925 von Siemens und Halske in der Sakristei installiert und seitdem mehrfach erneuert. Als Hauptuhr dient seit 1970 eine Quarzuhr, die auch die Schlagfolge der Turmuhr kontrolliert.

Seit den 1860er-Jahren befindet sich auf dem Südturm nur mehr ein akustisches Schlagwerk, da die Zifferblätter bei der Restaurierung des Domes unter Friedrich von Schmidt entfernt wurden. Dafür richtete man 1861 rechts und links des Riesentores in ehemaligen romanischen Fensterrosetten zwei weitere Uhren ein, die 1945 zerstört und in den 1960er-Jahren erneuert wurden. Rudolf Eisenmenger gestaltete das nördliche Zifferblatt zum Thema »Himmel, Tod, Gericht und Hölle«: Die obere Hälfte ist Sinnbild für den Himmel, die untere für die Hölle, der Stundenzeiger symbolisiert Tod und Auferstehung und der Minutenzeiger die alles ausgleichende Gerechtigkeit. Im südlichen Heidenturm finden wir heute eine Springuhr mit Blättersystem.

Integraler Bestandteil jedes Turmuhrensystems sind Glocken. Ihre Funktion geht weit über das Schlagen der Stunden und das Ankündigen der Messen hinaus: Vom Anzeigen der Sperrstunde, über die Warnung vor Gefahren bis hin zum Grab weisen Glocken durch den Alltag. Sogar magische Kräfte wie das »Zerteilen von Blitzen« wurden ihnen zugeschrieben. Der heutige Dom besitzt mit insgesamt 22 Glocken eines der größten Läutwerke der Welt. Wann welche Glocken erklingen, bestimmt eine genaue Läutordnung.

Als erste Glocke erwähnt die Chronik 1279 die rund zwei Tonnen schwere »Fürstenglocke« oder »Zwölferin«. 1404 ist bereits von zwei Glocken die Rede, bevor 1558 der Glockengießer Urban Weiß in der Vorstadt St. Ulrich die bis dahin größte Glocke herstellte, die sogenannte »Halbpummerin« mit einem Gewicht von 202 Zentnern und einem Klöppel von 650 Pfund. Im 18. Jahrhundert folgten dann die berühmte Pummerin sowie zahlreiche weitere Glocken.

1945 bestand das Geläute von St. Stephan aus 14 Glocken. Beim Brand im April desselben Jahres gingen die größten von ihnen verloren, darunter die »Fürstenglocke«, die Halbpummerin und die Pummerin selbst.

Die alte Pummerin, nach ihrem Auftraggeber Kaiser Joseph I. »josephinische Glocke« genannt, wurde zur Erinnerung an die Befreiung Wiens von den Osmanen am 21. Juli 1711 vom »kaiserlichen Stückgießer« Josef Achamer im heutigen siebenten Wiener Gemeindebezirk aus osmanischen Kanonen gegossen. Ihr Gewicht betrug über 17 000 Kilogramm, der Klöppel wog über 800 Kilogramm. Aus Angst vor Erschütterungen wurde die Glocke von 200 Handwerkern auf einem Tieflader über das Rotenturmtor, das sich als einziges der Stadttore für einen so großen und schweren Transport als passierbar erwies, nach St. Stephan gebracht und im November 1711 auf den Südturm aufzogen. Am 12. Jänner 1712 erklang sie erstmals beim Einzug von Kaiser Karl VI. in Wien nach seiner Krönung zum römisch-deutschen Kaiser.

1878 stellte Dombaumeister Friedrich von Schmidt beim Läuten der Glocke einen Ausschlag des Turmes von sechs Zoll fest und führte massive Schäden darauf zurück. Die Glocke wurde daraufhin aufgebockt, zum Läuten mussten nun 16 Männer den Klöppel mit Seilen betätigen. Das letzte Mal ertönte die alte Pummerin am Ostersonntag des Jahres 1937.

Als nach 1945 der Dom unter Beteiligung aller österreichischen Bundesländer wieder erstand, übernahm das Land Oberösterreich mit der Glockengießerei St. Florian die Neuherstellung der Glocke. Das verwendete Material bestand aus Resten der alten Pummerin, ergänzt durch türkische Kanonen aus dem Heeresgeschichtlichen Museum. Die neue Pummerin hat ein Gesamtgewicht von 21 383 Kilogramm, einen Durchmesser von 314 und eine Höhe von 294 Zentimetern. Sie ist damit nach Bukarest und Köln die drittgrößte freischwingende Kirchenglocke Europas. Nach dem Guss im Herbst 1951 begann am 25. April 1952 ihre Reise nach Wien, die einem Triumphzug glich: Begleitet von Motorradstaffeln der Polizei passierte der Zug unbehelligt die sowjetische Zonengrenze an der Enns, wurde in allen Städten bejubelt und am 26. April an Kardinal Theodor Innitzer im Beisein der Bundesregierung übergeben. Da am neuen Aufstellungsort, dem Nordturm des Domes, die Restaurierungsarbeiten noch nicht abgeschlossen waren, hing die Glocke in den darauffolgenden Jahren in einem provisorischen Glockenstuhl vor dem Bischofstor auf dem Stephansplatz. Erst im Oktober 1957 wurde sie vom Inneren des Domes in den Nordturm aufgezogen. Um die Glocke jedoch durch das Riesentor zu manövrieren, mussten Teile des Türgewändes ausgebrochen werden. Zur Schonung der Glocke ersetzte die bekannte Glockengießerei Grassmayr aus Innsbruck 2011 den ursprünglich 886 Kilogramm schweren Klöppel durch einen leichteren mit nur mehr 613 Kilogramm.

Die seltenen Gelegenheiten, ihren durchdringenden Klang zu hören, sind die Hochfeste des Kirchenjahres, der Jahreswechsel, diverse Gedenktage sowie Inthronisation oder Tod des Papstes, Erzbischofs oder Dompfarrers. Selten ertönt sie bei Begräbnissen geschätzter Persönlichkeiten, wie etwa bei Kaiserin Zita 1989 oder 2017 beim verstorbenen Gönner des Domes, Carl Manner.

Lesen Sie mehr über den Stephansdom im gedruckten Magazin.

Titelseite der vierten Ausgabe mit dem Stephansdom
Inhaltsverzeichnis der vierten Ausgabe
Abo-Bestellformular