Leseprobe

Auszug aus dem Artikel

»Verteufelt – geachtet – bei Bedarf akzeptiert«

von Marius Pasetti

Klassische Frauenberufe in der Medizin hatten oft nur den Status einer bloßen Dienstleistung.

Seinen Lebensabend verbrachte der Habsburgerkaiser Maximilian  II. (1527 – 1576) am Reichstag in Regensburg. Er war bereits schwer von der Gicht gezeichnet. Die Ärzte wussten keinen Rat, sein Leid zu lindern, und so versuchte man es mit der aus Ulm stammenden Ärztin Agatha Streicher. Sie verabreichte dem Kaiser diverse Arzneien und riet ihm, sich vom Wein fern zu halten. Ob Maximilian sich an den Ratschlag hielt, ist nicht gesichert. Kurz nach dem Besuch der kundigen Heilerin starb er. Streicher genoss durchaus hohes Ansehen, behandelte zahlreiche Patienten aus dem hohen Adel und Klerus, starb unter ungeklärten Umständen und wurde ohne kirchlichen Segen bestattet.

Agatha Streicher ist wohl als Ausnahmefall zu werten. In medizinischen Belangen versierte Frauen wurden zwar immer wieder zu Rate gezogen und fanden auch ihren Niederschlag in der höfischen Dichtung des Mittelalters: In Gottfried von Straßburgs zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstandenem Versroman »Tristan« wird Isolde als heilkundige Frau geschildert, die nicht nur über die geheimnisvollen Zutaten für Liebestränke verfügt, sondern auch mit dem chirurgischen Instrument des »zengelîn« umgehen kann. Dennoch: Bis Frauen den Status einer akademisch approbierten Ärztin erlangten, sollte es noch Jahrhunderte dauern.

Zunächst sind die Abgrenzungen zu dem Berufsstand der Hebamme fließend. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts wurde jedoch mehr oder minder klar zwischen Ärztin und Hebamme unterschieden. Während erstere sich gegen eine stark männerdominierte Medizin ebenso gut wie gar nicht behaupten konnte, musste man die Hebamme nolens volens akzeptieren. Männern war es ganz einfach untersagt, bei Geburten anwesend zu sein. Die Aufgaben der Hebamme waren vielfältig. So war sie auch verpflichtet, Taufen vorzunehmen, wobei das Überleben der potenziellen Mutter oft Nebensache war. Es ging vielmehr um das Seelenheil des Kindes, selbst wenn dieses den Mutterleib nicht verlassen konnte. So weiß man bereits seit dem 14. Jahrhundert von einer Taufspritze, die mit Weihwasser gefüllt war und die die »Geburtshelferin« in die Gebärmutter einzuführen hatte. Da diese den Hygieneverhältnissen der damaligen Zeit entsprechend rostig und unsteril war, lagen die Überlebenschancen der Patientin schlicht bei null. In der österreichischen Verfilmung »Die Hebamme – auf Leben und Tod«, die das Schicksal einer Hebamme in einem Tiroler Dorf Anfang des 19. Jahrhunderts zeigt, kommt dieses Instrumentarium noch vor.

Wie wenig es um das Leben der Mutter ging, zeigt auch, dass die Hebammen die Anordnung hatten, einen Kaiserschnitt erst dann durchzuführen, wenn die zu Behandelnde schon tot war oder im Sterben lag. Viele widersetzten sich diesem Gebot, um doch noch lebensrettend wirken zu können. Aber auch dann galt Rettung alles andere als gesichert, denn bis in das frühe 16. Jahrhundert war es üblich, die bei dieser Maßnahme aufgeschnittene Gebärmutter nicht wieder zuzunähen. Der Kaiserschnitt wurde ab da aber von Wundärzten, die die Hebamme bei Bedarf herbei rief, vorgenommen. Matthias Corany, in Wien an der medizinischen Fakultät als Rektor tätig, wagte im Jahre 1549 den Schnitt an einer jungen Frau, die schon mehrere Jahre ein totes Kind in sich trug. Die Intimität zwischen dem Neugeborenem und der Hebamme musste der katholischen Kirche suspekt werden. »Niemand schadet dem katholischen Glauben so sehr wie die Hebammen«, heißt es im »Hexenhammer« aus dem Jahre 1484, jenem unseligen Traktat der Dominikanermönche Heinrich Kramer und Jakob Sprenger (die Mitautorenschaft Sprengers wird in jüngster Zeit angezweifelt), das nach der Sanktionierung durch Papst Innozenz  VII. zur »legitimen« Verfolgung und Vernichtung aufforderte.

Worin sah man nun die von den »Hexenammen« ausgehende Gefahr? Die Vorstellung, der Teufel leibhaftig könne sich der Seele des noch ungeborenen oder gerade eben dem Mutterleib entschlüpften Kindes bemächtigen, noch ehe es das Sakrament der Taufe empfangen hatte, ließ Unruhe aufkommen. Die Hebamme wurde in dieser panischen Manie als Helferin des Satans gefürchtet, die über die Macht verfügte, das Neugeborene auf die dunkle Seite der Macht zu ziehen, in dem sie die Taufe verweigerte. Totgeburten wurden ihnen somit zur Last gelegt.

Der Hexenhammer geht auf eine Zeit zurück, in der Naturkatastrophen und Seuchen den europäischen Kontinent überzogen und die Hexen für verschiedene Seuchen verantwortlich gemacht wurden. Dieser Aberglaube sollte Jahrhunderte lang dauern. Der leidenschaftliche gegenreformatorische Prediger Abraham a Sancta Clara will in seinem Pamphlet »Merck’s Wienn« neben den »Juden« und den »Totengräbern« eben auch die Hexen sogar als Verursacher für die große Pest im Jahre 1679 erkennen.

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