Leseprobe

Auszug aus dem Artikel

»Eine Institution – viele Facetten«

von Gabriele Röder

Die Österreichische Nationalbibliothek ist die größte Bibliothek in Österreich.
In »Nationalbibliothek« wurde die kaiserliche Hofbibliothek 1920 umbenannt, der Name »Österreichische Nationalbibliothek« existiert seit 1945
.

Im Jahr 1722 entschloss sich Kaiser Karl  VI., den Plan seines Vaters Leopold I., eine neue Bibliothek in der Hofburg bauen zu lassen, umzusetzen. Der Spanische Erbfolgekrieg war beendet, die drohende osmanische Gefahr zumindest für die Stadt Wien war gebannt.

Die Pläne entwarf Johann Bernhard Fischer von Erlach, zur Ausführung gelangten sie unter der Leitung seines Sohnes Joseph Emanuel. An die Stelle einer älteren Reithalle trat nun der sogenannte Prunksaaltrakt, der die Verbindung zum Augustinerkloster herstellte. Johann Bernhard Fischer von Erlach hatte als junger Bildhauer einige Jahre in Rom verbracht und dabei sein Auge an den Werken des damals führenden Architekten Gian Lorenzo Bernini und der römischen Antike geschult, er wirkte ab dieser Zeit nur mehr als Architekt. Als Lehrer des Thronfolgers Joseph hatte er Ende des 17. Jahrhunderts in Wien eine feste Position und natürlich auch Aufträge für den Kaiserhof und den Adel. Dieses große Bauvorhaben musste selbstredend auch eine finanzielle Grundlage bekommen, und so entschloss sich Kaiser Karl  VI. zu Sondersteuern auf Zeitungen und Kalender. Nach Fertigstellung des Baus wurde die Sondersteuer keineswegs abgeschafft, sondern auch in der Folge »in perpetuum« (andauernd) für Buchankäufe herangezogen.

Der Baubeginn war 1723, dem Todesjahr von Johann Bernhard Fischer von Erlach. Nach den Plänen seines Vaters schuf der Sohn einen klar gegliederten Baukörper, dessen Fassade bis heute den Eindruck des Josefsplatzes bestimmt. Ionische Pilaster gliedern den Bau, aus dessen Front einzig der Mittelrisalit hervorspringt. Sein kuppelartiges Mansardendach ragt auch in der Höhe über die Dachlinie hinaus. Hinter diesem Mittelrisalit verbirgt sich der Prunksaal, das Herzstück der gesamten Anlage. Die lateinische Inschrift in der Mitte verweist auf den Bauherrn Karl  VI., der »den Bücherstand gewaltig vermehrt und in einem geräumigen Neubau der öffentlichen Nutzung übergeben [hat] 1726«. Die Bibliothek war also nicht einzig und allein für die kaiserliche Familie bestimmt, sondern hatte bereits einen gewissen Bildungsauftrag. Die beinahe klassizistisch anmutende Schlichtheit der Fassade wird durch die bekrönenden Figuren von Lorenzo Mattielli aufgebrochen. Nach dem Brand von 1848 erhielt der junge Bildhauer Hanns Gasser den Auftrag, die Figur des Atlas zu erneuern.

1726 waren die Arbeiten am Außenbau wohl vollendet, die Ausstattung im Inneren zog sich noch bis 1730 hin. Der Prunksaal war und ist ein Gesamtkunstwerk der barocken Welt und der Höhepunkt des Neubaus. Im Zentrum blickt der geistige Schöpfer der Anlage, Kaiser Karl  VI., im Gewand eines römischen Imperators von seinem Statuensockel auf die Besucher herab, ein Werk, das dem Hofbildhauer Antonio Corradini zugeschrieben wird. Ihn umgeben die Figuren seiner kaiserlichen Vorgänger, von Staatsmännern und Feldherren, die Paul und Peter Strudel geschaffen haben. In der beinahe 20 Meter hohen Kuppel des ovalen Mittelsaals wird im Deckengemälde von Daniel Gran die Verherrlichung des Bauherrn fortgeführt.

Zum barocken Universalkunstwerk gehören ebenso die Nussholzschränke in zwei Etagen mit den kostbaren Büchern. Durch geschickte Konstruktionen konnten einige Regale so gedreht werden, dass kleine Studierkammern entstanden, die – welch Luxus! – beheizt werden konnten. Im Prunksaal werden heute rund 200 000 Bände verwahrt, in der Hauptsache Werke von 1501 bis 1850. Hier wurde ursprünglich der gesamte Bestand der Hofbibliothek aufgestellt.

Das Verdienst von Karl  VI. war die Zusammenführung der verschiedenen Sammlungen seiner Vorfahren, angefangen von Herzog Albrecht  III., dessen Evangeliar des Johannes von Troppau von 1368 am Beginn der Sammeltätigkeit stand. Das Evangeliar entstand in Böhmen, die kostbaren Miniaturen wurden mit goldener Schrift kombiniert, eine Arbeit, die persönlich für den Herzog angefertigt wurde.

Vor allem der Erwerb der Bibliothek des Prinzen Eugen von Savoyen 1738, zwei Jahre nach dem Tod des Feldherrn, war eine wichtige Bereicherung. Der Kaiser bot der Erbin Victoria von Savoyen eine Jahresrente von 10.000 Gulden für die kostbare Sammlung, deren Wert auf 150.000 Gulden geschätzt wurde (im Vergleich dazu: Der Wert des Schlosses Belvedere wurde mit 100.000 Gulden beziffert). Die »Bibliotheca Eugeniana« umfasst 15 000 Druckwerke, Handschriften, Kupferstiche, Zeichnungen und Miniaturen. In nur gut zwei Jahrzehnten hatte Prinz Eugen die Bibliothek aufgebaut, nicht aus Prestigegründen, sondern als wirklicher Kenner von Wissenschaft und Liebhaber der Buchkunst. Die Werke aus seiner Bibliothek tragen alle auf der Vorder- und Rückseite des Einbands sein Wappen in Goldprägung und sind in feinstes Maroquinleder gebunden. Zur besseren Unterscheidung ließ Prinz Eugen die verschiedenen Wissensgebiete in unterschiedlichen Farben binden: dunkles Rot für Geschichte und Literatur, dunkles Gelb für Naturwissenschaften und dunkles Blau für Theologie und Jurisprudenz. Selbstverständlich ließ er auch einen Katalog seiner Bücher erstellen. Werke von Weltrang sind in der Bibliotheca Eugeniana zu finden wie beispielsweise die Tabula Peutingeriana, eine mittelalterliche Kopie einer römischen Straßenkarte aus dem 4. Jahrhundert, die auf einer mehr als sechs Meter langen Rolle das gesamte Römische Reich darstellt.

1730 gelang Prinz Eugen ein ganz besonderer Ankauf: Er ersteigerte auf einer Auktion in Den Haag den Atlas Blaeu-Van der Hem, ein Sammelwerk in 50 Bänden mit Karten, Landschaftsdarstellungen, Schlachtenszenen, Bauwerken, kurzum eine Darstellung der Welt zum Ende des 18. Jahrhunderts auf 2 400 kolorierten Blättern.

Seit 1992 zeichnet die UNESCO bedeutende Dokumente der Menschheitsgeschichte mit dem Titel »Weltdokumentenerbe« aus. Von den bisher 427 Eintragungen sind acht aus den Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek, wie die Bibliotheca Eugeniana, darunter eben diese beiden oben genannten Werke. Zum Weltdokumentenerbe der Nationalbibliothek zählen unter anderem auch das Prachtexemplar der Goldenen Bulle, das König Wenzel in Prag hat anfertigen lassen oder die ägyptischen Papyri, ein Fund aus Fayum, den Erzherzog Rainer 1883 für eine unbekannte Summe ankaufte.

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