Leseprobe

Auszug aus dem Artikel

»Österreich ist das beste Rindsuppenland.«

von Katharina Trost

Diese Worte legte Thomas Bernhard dem damaligen Burgtheaterdirektor Claus Peymann im Stück »Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen« in den Mund. Und was bestellt er? Natürlich Leberknödelsuppe sowie Tafelspitz mit Semmelkren. 

Rindsuppen und gekochtes Rindfleisch gehören zweifellos zu unseren Nationalgerichten, vor allem in Wien sind sie von keiner Speisekarte wegzudenken. 

Bei der Zubereitung gibt es zwei Schulen: Für eine kräftige Suppe legt man das rohe Fleisch (Siedfleisch) in das kalte Wasser und lässt es zusammen mit Suppengemüse stundenlang auf kleiner Flamme kochen. Für ein zartes und saftiges Fleisch (Tafelstück) sollte man dieses in kochendes Wasser legen.

Einer der berühmtesten Rindfleischtempel bis zu seiner Zerstörung am Ende des Zweiten Weltkriegs war das Restaurant »Meissl & Schadn« im gleichnamigen Hotel auf dem Neuen Markt 2. Keinesfalls bestellte man hier einfach »ein gekochtes Rindfleisch«, so wie man im Kaffeehaus ja auch nicht nach einem »Kaffee« verlangt. Man musste schon präziser sein. Immerhin konnte man zwischen 24 Rindfleischspezialitäten wählen: Tafelspitz, Tafeldeckel, Rieddeckel, Beinfleisch, Rippenfleisch, Kavalierspitz, Kruspelspitz, Hieferschwanzl, Schulterschwanzl, Schulterscherzl, Mageres oder Fettes Meisel, Zwerchried, Mittleres, Dünnes oder Dickes Kügerl, Bröselfleisch, Ausgelöstes, Brustkern, Brustfleisch, Weißes oder Schwarzes Scherzl, Zapfen und Ortsschwanzl. 

»Wer nicht über mindestens ein Dutzend Stücke von gekochtem Rindfleisch sachkundig sprechen konnte, gehörte in Wien nicht dazu, gleichgültig, wie viel Geld er verdiene oder ob der Kaiser ihm den Titel eines Hofrats oder Kommerzialrats verliehen hatte«, behauptete der Altösterreicher Joseph Wechsberg (1907 – 1983), ein großer Gourmet, der unzählige Feuilletons sowie Bücher über die österreichische Küche verfasste. 

Nicht in der obigen Aufzählung genannt ist übrigens die Fledermaus, die auch Schalblattl genannt wird und nicht mit ihrem fliegenden Namensvetter verwechselt werden darf. Das lappenartige Stück Fleisch von der Hüfte wird gerne paniert als Schnitzel serviert.

Gesottenes Rindfleisch ist eines der ältesten Gerichte überhaupt und war, abgesehen von Notzeiten, auch für die Masse erschwinglich. Es entwickelte sich im Laufe der Zeit aber zu dem bürgerlichen Gericht schlechthin. Dem Adel mundete es ebenso, auch auf den kaiserlichen Menükarten findet sich immer wieder das Pièce de bœuf garnie (gekochtes Tafelstück garniert). 

Der Tafelspitz, ein kurzfaseriger Teil aus dem Rindsschlögel, soll gar Kaiser Franz Josephs Lieblingsgericht gewesen sein. Als der österreichische Monarch 1904 den in Marienbad zu Kur weilenden englischen König Eduard  VII. besuchte, kredenzte dieser seinem hohen Gast beim Galadiner im Hotel Weimar einen »Tafelspitz mit Essigkren«, wovon einige Zeitungen entzückt berichteten. Der Tafelspitz war also sogar international hoftafelfähig. Heute ist er überhaupt oft Synonym für gekochtes Rindfleisch mit den typischen Beilagen Cremespinat, Kartoffelschmarrn, Apfel- oder Semmelkren und Schnittlauchsauce. 

Doch ähnlich vielfältig wie die verschiedenen Gustostückerln sind die Gemüse- und Sättigungsbeilagen sowie die kalten und warmen Saucen. In alten Kochbüchern finden sich über 80 Varianten, von denen die meisten wie Bouillonerdäpfel, Kochsalat mit Erbsen, Mandelkren, kalte Rote Rüben-, Sardellen-, Gurken- oder Senfsauce heute fast vergessen sind. Damit der Gaumenschmaus auch zum Augenschmaus wird, erfand der Ungar Philipp Aigner in den 1890er-Jahren sogar eigene »Garnirschüsseln« mit sechs bis zwölf Vertiefungen, die das unschöne Vermengen der verschiedenen Beilagen verhindern sollte. 

Der patentierte Rindfleischteller war schon fast aus allen Wiener Beisln verschwunden, erlebt jedoch in den letzten Jahren wieder ein »Comeback« – so wie übrigens Jahrzehnte zuvor auch das Rindfleisch. Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte nämlich das nun günstigere Schweinefleisch die heimische Küche. Die Wiederbelebung der beinahe in Vergessenheit geratenen Rindfleischtradition verdankt man unter anderem der Gastronomiefamilie Plachutta, die mehrere Restaurants in ganz Wien führt, in denen die Kochkunst rund um Tafelspitz und Co. auf höchstem Niveau zelebriert wird.

Was waren nun die historischen Gründe für den hohen Rindfleischkonsum in Wien? Schon ab dem frühen Mittelalter wurden die Ochsenherden aus der ungarischen Tiefebene, aber auch aus Galizien und der Bukowina direkt in die Stadt getrieben. Kleinere Tiere wie Schafe oder Schweine konnten nicht so weit gehen, sie brachen sich auf dem Weg oft die Beine. Die Tiere kamen zum damaligen Ochsengries (beim heutigen Franz-Josefs-Kai), wurden auf der Schlagbrücke (heute Schwedenbrücke) geschlachtet und am Fleischmarkt veräußert. Schon 1228 übersiedelte der Verkauf aus Platzgründen auf den Lichtensteg und ab 1797 schließlich nach St. Marx, wo die großen Schlachthöfe bis zum Ende des 20. Jahrhunderts in Betrieb waren. Heute erinnern dort neben den denkmalgeschützten Hallen noch zwei Ochsenstatuen daran. 

Die hiesigen Fleischhauer verstanden es, »mit der sicheren Hand eines Gehirnchirurgen« (Zitat Wechsberg) die Fleischteile so auszulösen, wie sie für ein bestimmtes Rezept am besten geeignet waren. Noch heute wird bei der als »Wiener Teilung« bekannten Methode das Tier in fünf und nicht in die international üblichen vier Teile zerlegt. Die unterschiedlichen Fleischstücke hatten bis in das 19. Jahrhundert einen Einheitspreis, Ausnahme waren nur besondere Teile wie Lungenbraten, Beiried und Rostbraten, die teurer verkauft werden durften. Eine weitere Besonderheit war die »Zuwaage«, die noch bis in die 1950er-Jahre üblich war: Schwer verkäufliche Fleischreste (Knochen, Innereien etc.) mussten vom Kunden zusätzlich erstanden werden (meist zehn Prozent vom Gewicht des eigentlich gewünschten Fleisches). Das führte wiederum dazu, dass damit viele Suppen gekocht wurden. Diese sind in Österreich hochgeschätzt und ersetzen oft die Vorspeise, was zum Beispiel in Frankreich undenkbar wäre. Inspiriert wurde die fast unendlich wirkende Auswahl an Suppeneinlagen wie Knödel, Nockerln, Fleckerln oder Schöberln zum Teil von der Wiener Mehlspeisküche. 

Der Variationsreichtum hatte zur Folge, dass man der Hausfrau im 19. Jahrhundert in Kochbüchern und Illustrierten empfahl, zumindest fünfmal pro Woche Rindfleisch mit den unterschiedlichsten Beilagen zu servieren. Die Reste des Gesottenen konnte man außerdem noch gut als Salat, Sulz oder im Altwiener Suppentopf verwerten. Freitags war traditionell ein fleischloser Fastentag, und am Sonn- und Feiertag kam Backhendl, Schnitzel oder ein Braten auf den Tisch. Bei letzterem sind wir bei weiteren Zubereitungsarten des Rindfleischs, die in der Wiener Küche keinesfalls fehlen dürfen.

Der aus dem Hohen Beiried gewonnene Rostbraten wird gebacken, gegrillt oder geschmort serviert. Zu den bekanntesten Rezepten zählen der Zwiebel-, Esterházy- und der Vanillerostbraten. Letzterer wird übrigens nicht mit dem exotischen Gewürz verfeinert, sondern mit der »Vanille des kleinen Mannes«, nämlich Knoblauch. Eine Anekdote erzählt Folgendes: Als der berühmte Schauspieler Alexander Girardi, der bekanntermaßen kein Fleischliebhaber war, seine Kollegin und Freundin Katharina Schratt in Bad Ischl besuchte, servierte diese ihm einen Rostbraten, der über und über mit Gemüse bedeckt war, sodass man das Fleisch gar nicht sehen konnte. Für dieses Gericht bürgerte sich der Name Girardi-Rostbraten ein.

In jedem Beisl sollte ein Gulasch – als Suppe oder Hauptgericht – auf dem Menüplan stehen. Dabei können neben Rind auch Schwein, Lamm, Kalb, Würsteln oder Erdäpfel zum Einsatz kommen. Für das auf ungarische Hirten zurückgehende traditionelle Kesselgulasch verwendet man allerdings Rindfleisch. Besonders geeignet dafür ist der Wadschunken bzw. -schinken (der langfaserige Unterschenkel), dessen ausgesonderte Gelatine für die nötige Bindung sorgt. Auch beim Gulasch gibt es unzählige Rezepte, etwa das Fiaker-gulasch, bei dem das Gericht zusätzlich mit einem Spiegelei, einem gebratenen Würstel und einer Essiggurke garniert wird. Man muss übrigens anmerken, dass in Ungarn nur die Suppe als »gulyás« bezeichnet wird; als Hauptgericht heißt es dort »pörkölt«.

Man sieht, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Der große französische Koch Marie-Antoine Carême (1784 – 1833) schrieb einmal: »Rindfleisch ist die Seele der guten Küche.« Joseph Wechsberg adaptierte diesen Spruch für unsere Breiten: »Gekochtes Rindfleisch ist die Seele der Wiener Küche.«

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