Leseprobe

Auszug aus dem Artikel

»Im Schweizer Exil«

von Carles Batlle i Enrich

Die Schweiz hätte für die kaiserliche Familie ein ruhiges Refugium werden können. Die wiederholte Missachtung der vereinbarten Auflagen brüskierte aber die Schweizer Behörden und zwang diese dazu, die Aufenthaltsgenehmigung zurückzuziehen.

Es war Sonntag, der 23. März 1919, kurz nach 19.00  Uhr. Die Abfahrt des Zuges vom nahe des Schlosses Eckartsau gelegenen Bahnhof Kopfstetten erfolgte somit bereits in der Dunkelheit. Der glänzende Salonwagen des Kaisers unterschied sich deutlich von anderen nach vier Kriegsjahren verstaubten oder sogar ramponierten Waggons. Die Familie wurde von britischen Soldaten eskortiert, zu den Begleitern gehörten unter anderen die Erzherzoginnen Maria Josepha (Mutter des Kaisers) und Maria Theresia (Stiefgroßmutter des Kaisers und Tante der Kaiserin). Ziel der Fahrt war die Schweiz. In Feldkirch, dem letzten Bahnhof auf österreichischem Boden, revidierte der Kaiser am Nachmittag des 24. März seine Verzichtserklärung in einem Manifest; dieses wurde allerdings nur ausgewählten Staatsoberhäuptern zugesandt, darunter Papst Benedikt XV. und Alphons XIII. von Spanien. Der Schriftsteller Stefan Zweig wurde in Feldkirch Zeuge der Ausreise des Kaisers und hielt die Erinnerung in seinem Buch »Die Welt von gestern« (am Beginn des Kapitels »Heimkehr nach Österreich«) fest. 

Der Kaiser hatte darauf bestanden, dass beim Verlassen des Landes weder eine Leibesvisitation noch eine Durchsuchung des Gepäcks erfolgen sollte. Und das mit gutem Grund. Kaiser Karl hatte bereits am 1.  November 1918 seinen Oberstkämmerer Leopold Graf Berchtold befohlen, wertvolle Gegenstände aus zwei Vitrinen der Schatzkammer (hauptsächlich Juwelen) sicherzustellen, obwohl einige Stücke als Staatseigentum galten. Ein Teil wurde nach wenigen Tagen vom Grafen persönlich nach Zürich in die Schweizer Nationalbank gebracht, der Rest lag in mehreren Taschen des ins Exil mitgenommenen Gepäcks. Zu den entwendeten Juwelen gehörte der berühmte »Florentiner«, damals der viertgrößte Diamant der Welt; er wurde später durch einen Genfer Juwelier vermutlich dreigeteilt, die Stücke sind aber verschollen. Andere wertvolle Stücke wurden zerstückelt und verkauft oder verschwanden für immer. 

Im zum Kanton St. Gallen gehörenden Schweizer Grenzbahnhof Buchs wurden Karl und Zita von Vertretern des Landes, aber von keinem hochrangigen Politiker empfangen; dabei wurde ihnen jegliche politische Tätigkeit untersagt. Der Zug fuhr dann bis zum direkt am Bodensee gelegenen Bahnhof Staad weiter. Wenige hundert Meter davon entfernt liegt das Schloss Wartegg (zur Gemeinde Rorschacherberg gehörend, heute ein Hotel), das Zitas Großmutter Louise bereits 1860 erworben hatte. Zitas Mutter empfing dort die ankommende Familie, die hier nur zwei Monate blieb, weil den Siegermächten die Nähe zur österreichischen Grenze ein Dorn im Auge war. In dieser Zeit unternahm die Familie einige Ausflüge, zum Beispiel zum katholischen Kollegium St. Antonius nach Appenzell, wo die Studenten das Kaiserpaar mit traditionellen Liedern empfingen. Sie bekamen aber auch Besuch, darunter von Abgeordneten aus mehreren Nachfolgestaaten der Monarchie, die eine hohe Ablösesumme für die zurückgelassenen Vermögenswerte anboten. Die Bedingung war die formelle Abdankung, der Vorschlag wurde daher umgehend abgelehnt.

Im Mai 1919 übersiedelte die Familie vom Boden- an den Genfersee. In der direkt am See gelegenen Villa Prangins nahe Nyon im Kanton Waadt (zur Gemeinde Gland gehörend, heute der Golf Club du Domaine Impérial), verbrachte die Familie fast zwei Jahre. In dieser Zeit brachte die Kaiserin zwei weitere Kinder zur Welt: Rudolph am 5. September 1919 und Charlotte am 1.  März 1921. Auch hier versuchte man eine gewisse Normalität zu zeigen und unternahm zahlreiche Ausflüge, darunter auf die namensgebende Habsburg im Aargau, ins bündnerische Kloster Disentis oder ins zugerische Cham, wo man im Kloster Heiligkreuz mit österreichischen Mädchen zusammentraf, die sich dort vom Krieg erholten. All diese Aktivitäten verschlangen Geld, und dieses Geld war nicht wie vorher vorhanden; deswegen mussten immer wieder Juwelen verkauft werden. Karl und Zita dachten nur an die Rückkehr und waren daher weiterhin politisch aktiv, was ihnen eigentlich verboten war. Im Oktober 1919 kamen die Erzherzöge Max, Friedrich, Albrecht und Eugen in die Schweiz, um Karl als deren Oberhaupt zu bestätigen – eine klare Ansage an all jene, die auf ihre Ansprüche verzichtet hatten. 

Am Gründonnerstag des Jahres 1921 (es war der 24. März, also genau zwei Jahre nach der Ankunft in der Schweiz) startete der erste Restaurationsversuch in Ungarn (siehe Seite 46). Neben dem Scheitern des schlecht vorbereiteten Putschs drohte seitens der Schweizer Behörden Ungemach. Einige Parlamentarier verlangten die sofortige Ausweisung und Bundesrat Giuseppe Motta meinte: »Es ist kaum mehr möglich, ihm (Karl) volles Vertrauen zu schenken, nachdem er gezeigt hat, wie leicht er den Verlockungen zur Wiedergewinnung seines Thrones nachgibt und auch vor der Entfesselung kriegerischer Verwicklungen nicht zurückschreckt.« Dabei wurde dem Einfluss der Kaiserin viel Beachtung geschenkt. Interventionen Ungarns und des Vatikans bewirkten aber eine vorläufige Verlängerung des Aufenthaltes. Das galt nicht für den Großen Rat (Parlament) des Kantons Waadt: Er erklärte Karl zur Persona non grata und verbot dessen Aufenthalt auf kantonalem Boden.

Die katholische Innerschweiz wurde zur letzten Bleibe ab April 1921; man fand einen geeigneten Platz im Schlosshotel Hertenstein am Vierwaldstättersee, im Kanton Luzern. Zur Gemeinde Weggis gehörend, steht heute dort ein anderes modernes Hotel: das Campus Hotel Hertenstein; das dazugehörende Café Vienna (!) beherbergt neben einer Erinnerungstafel an den Aufenthalt des Kaisers auch zahlreiche historische Fotografien. Das damalige Hotel war wenige Jahre zuvor vergrößert worden und konnte die etwa hundert Personen der Entourage aufnehmen. Das See- und Bergpanorama, das von dort bestaunt werden kann – unter anderem mit Blick auf den Pilatus – ist atemberaubend. Während dieser Zeit versuchte Karl abermals zu Geld zu kommen. Dass er keine glückliche Hand dabei hatte, zeigte sich hier erneut: Er ließ Wertpapiere aus Österreich in die Schweiz schmuggeln und wollte sie zu Geld machen; der damit beauftragte Financier, ein gewisser Oswald A. Schlegel, ging unerwartet in Konkurs, womit dem Kaiser etwa 16 Millionen Kronen durch die Lappen gingen. Man versuchte trotzdem weiterhin, ein fürstliches Leben beizubehalten, ja sogar eine Hochzeit fand in Hertenstein statt: Baron Aladar von Boroviczény, persönlicher Sekretär des Kaisers, heiratete am 31. Juli Agnes Gräfin Schönborn, eine Hofdame der Kaiserin. Die bereits erwähnte Erzherzogin Maria Theresia hielt dieses und andere Ereignisse auf Fotografien fest, die somit zu einzigartigen Erinnerungen dieser Zeit wurden. 

Trotz der abgegebenen Versprechen gingen die politischen Aktivitäten weiter, und die angeordnete Bewachung des Kaisers hatte auch nicht den erwünschten Erfolg. Dem Luzerner Polizeiwachtmeister Fritz Huwiler »entging« offenbar, dass sowohl Karl als auch Zita ihre Koffer packten und am 20. Oktober den zweiten Restaurationsversuch starteten. Aus seinem Besitz kann man heute im Museum des aargauischen Klosters Muri eine goldene Taschenuhr bewundern, die mit einem mit Kaiserkrone und Brillanten besetzten »K« verziert ist. Huwiler erhielt sie für die »großzügige Bewachung« … 

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