Leseprobe

Auszug aus dem Artikel

»Lustbarkeiten ohne Ende«

von Gabriele Röder

Über die Vergnügungen am Wiener Kongress meinte der Duke of Wellington:
»Verschiebe nicht auf morgen, was du auch heute tun kannst, denn wenn es dir heute Spaß macht, kannst du es morgen wiederholen.«

Am 18. Juli 1814 kehrte Clemens Wenzel Lothar Fürst Metternich nach seinem Aufenthalt in London, Paris, Stuttgart und München nach Wien zurück. Hier wurde der Regisseur des Wiener Kongresses zum Ehrenbürger ernannt und der Prinzipal des Hoftheaters, Ferdinand Pálffy von Erdőd, arrangierte ihm zu Ehren eine festliche Serenade. Fast könnte man sagen, dass damit der Reigen der Feste um das europäische Großereignis begonnen hatte. Am selben Tag verzeichnete der Polizeibericht: »Arnstein und Eskeles – beide Häuser sagen es selbst – geben durch die Zeit des Kongresses alltäglich Mittag und abends Tafel für alle Berliner und Preußen als Landsleute.« Grund genug für Baron Franz Hager von Allentsteig, dem Präsidenten der Obersten Polizei- und Zensurhofstelle, Gewährsleute und Spitzel in die höchsten diplomatischen und gesellschaftlichen Kreise einzuschleusen, die heimlichen und weniger heimlichen Liebschaften der Wiener Gesellschaft wurden gleich mit ausgekundschaftet. Man sieht also, alles war auf das Großereignis vorbereitet, als die hohen Gäste in der Kaiserstadt Einzug hielten.

Wien hatte zur Zeit des Kongresses rund 240 000 Einwohner, war eng und überlaufen, und es gab zu wenige Quartiere für die illustren Gäste – man sprach von rund 100 000 Gästen aus beinahe 200 Staaten, Herzogtümern, Fürstentümern. Hofmobiliendirektor Vinzenz Caballini war aufs Äußerste gefordert, da »zu nämlicher Zeit ein fremder Kaiser, zwey Könige, sechs Prinzen und zwey Prinzessinnen und Ihr mitkommendes Gefolge vom Hof mit Wohnung und mit Meubles versehen werden sollte«, ungeachtet jener »Individuen ohne Stand«. Zum Teil musste man in die Vororte ausweichen. Kaiser Franz ließ 300 gleiche Kutschen bauen, die er den Gästen unentgeltlich zur Verfügung stellte, Voranmeldung war notwendig, da diese Transportmöglichkeit sehr begehrt war, mehrsprachige Fremdenführer boten ihre Dienste an.

Man tat sein Bestes, nur das Wetter konnte man nicht beeinflussen, und dieses war ausgerechnet im Jahr 1814 schlecht. Die k. k. Sternwarte der Universität zählte 28 Schneetage, 98 Regentage und – für Wien eher ungewöhnlich – 78 Nebeltage. Ausgerechnet am 18. Oktober 1814 schien der Nebel am Morgen recht hartnäckig zu sein. Die Chroniken berichteten, dass er sich erst während der Kanonenschüsse nach dem Dankgottesdienst im Prater lichtete. Gott sei Dank, denn nun konnte das große Praterfest aus Anlass des Jahrestages der Völkerschlacht von Leipzig bei Sonnenschein über die Bühne gehen.

Folgt man den Berichten der Wiener Zeitung vom Herbst 1814, so startete der Festreigen bereits im September mit einer »Einladung zu einem Festschießen in der landesfürstlichen Stadt Klosterneuburg«, am 25. des Monats konnten die Schaulustigen den Einzug von Zar Alexander, dem preußischen König Friedrich Wilhelm und von Kaiser Franz bestaunen.

Theateraufführungen, Soireen, Konzerte unterhielten die angereisten Diplomaten und ihre Begleitung schon von Beginn des Kongresses an.

Am 29. September fand sich »tout Vienne« zum großen Stuwerschen Feuerwerk im Prater ein. 60 Wagen fuhren vor, ein regelrechter Verkehrsstau bildete sich, der »hat bei der großen Praderallee angefangen und in einer Zeil’n fort, herin’n auf’n Burgplatz aufg’hört«. Der Eintritt kostete einen Gulden, vielfältige Bilder mit klingenden Bezeichnungen erstrahlten am Himmel. Es gab kleine Pannen beim Abschießen des Feuerwerks, die dem Vergnügen aber keinen Abbruch taten. Den Schlusspunkt bildeten zwei große leuchtende Feuerbälle, »als wann si zwaa Vollmond von Himmel auf di Bäumer aberg’lass’n häd’n«, die so lange leuchteten, »als no a Mensch oder a Wag’n auf’n Feuerwerchsplatz z’sehen war.« Sehr plastisch schilderten die Zeitzeugen in Tagebüchern und Briefen das Geschehen in der Wienerstadt, allen voran der junge Beamte Matthias Franz Perth oder der Schriftsteller Joseph Richter in seinen »Briefen eines Eipeldauers an seinen Herrn Vetter in Kakran über d’ Wienstadt«. Graf Auguste de La Garde und der Prince de Ligne notierten ihre Beobachtungen, und selbst Erzherzog Johann schrieb am Tag des Feuerwerks in sein Tagebuch: »Nichts als Visiten und Gegenvisiten; Essen, Feuerwerk, Beleuchtung. Überhaupt habe ich seit 8 – 10 Tagen nichts getan. Das ist ein Leben!«

Die große Hofredoute drei Tage später versammelte im Großen und Kleinen Redoutensaal, in der Winterreitschule und im von Louis Montoyer erst kürzlich fertiggestellten Zeremoniensaal nicht weniger als 10 000 Gäste, manche Quellen sprachen sogar von noch mehr Besuchern. Einig waren sich alle: »Ein mörderisches Gedränge!« Die streng kontingentierten Billets für den Eintritt wurden durch einen schwunghaften Schwarzhandel ad absurdum geführt. Trotzdem – gefeiert wurde bis in die Morgenstunden.

Bei herrlichem Wetter erlebte Graf Auguste de La Garde am 6. Oktober das Volksfest im Augarten, das vom Gastwirt Franz Jahn für die Teilnehmer des Kongresses veranstaltet wurde. Auch de La Garde sprach von einer ungeheuren Menschenmenge, Souveräne und Berühmtheiten fanden auf einer extra errichteten Tribüne Platz, mischten sich aber bald unter das Volk. Mit Wettläufen, Pferderennen, Armbrustschießen verbrachte man den Tag, Kunstreiter verblüfften das Publikum, zu den Höhepunkten zählte sicherlich eine bemannte Ballonfahrt, die nach einer Stunde mit einer sanften Landung in der Lobau zu Ende ging. Ein Feuerwerk von Stuwer setzte den Schlusspunkt, bevor der Tag mit einem glänzenden Ball abgeschlossen wurde.

Für die etwas kleinere Redoute parée am 9. Oktober herrschten strenge Kleidervorschriften für diejenigen, die unmaskiert kamen: »Damen in vorzüglich geputztem Anzuge, die Männer in Uniform oder ebenfalls in vorzüglich geputzten Kleidern.« Die penibel kontrollierten Eintrittskarten waren vielleicht noch erschwinglich oder gar gratis, die vorgeschriebene Kleidung konnte aber ganz schön teuer werden, und so machten es einige wie Matthias Perth bei einer der Veranstaltungen: »Abends begab ich mich in die k. k. Winterreitschule, wo bei einer reichen Beleuchtung Generalprobe von dem Karussell war, das morgen die Kavaliers den hohen Monarchen geben werden.« Er wollte »wegen solcher Tandeleyen nicht solche Kleidungsstücke ankaufen, die in der Folge wieder jahrelang im Schranke liegen würden«.

Weniger gezwungen als bei Festen am Hof konnte man sich in den verschiedenen Tanzsälen der Stadt unterhalten, besonders populär waren der riesige Apollosaal mit fünf Tanzsälen, der gerade neu restauriert worden war; der Sperlsaal, der ebenfalls bereits seit einigen Jahren zu einem bevorzugten Veranstaltungsort zählte; oder man ging im Prater in eines der zahlreichen Gasthäuser, da hatte man gleich nebenan sechs Ringelspiele und ebenso viele Schaukeln zur Belustigung.

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