Leseprobe

Auszug aus dem Artikel

»Erzherzog Ludwig Viktor – ein öffentliches Leben«

von Hedy Fohringer

Als Bruder von Kaiser Franz Joseph  I. spielte Ludwig Viktor
bei Hof nur eine untergeordnete Rolle, dennoch blieb er nicht
von Klatsch und Tratsch verschont.

Ein kaiserliches Leben im 19. Jahrhundert bedeutete ein Leben im Rampenlicht, auch wenn die Paparazzi ihren prominenten »Opfern« nicht ständig auf den Fersen waren, so wie sie es heute tun. Viele Nachrichten wurden vom Wiener Hof zensiert, einige erreichten aber durch nicht ganz loyale Bedienstete oder gar Vertraute das Licht der Öffentlichkeit. Je mehr versucht wurde, zu vertuschen, umso rascher und breiter wurde ein Gerücht in Umlauf gesetzt. 

Ludwig Viktor, geboren am 15. Mai 1842, war das jüngste Kind von Erzherzogin Sophie und Erzherzog Franz Karl. Von allen geliebt, von seinen drei älteren Brüdern umsorgt, wurde »Luziwuzi« das erklärte Nesthäkchen seiner Mutter und stand ihr sehr nahe, wie seine liebevollen Briefe von seinen Reisen nach Rom, Venedig und Paris beweisen. 

Anders als Franz Joseph, Ferdinand Maximilian und Karl Ludwig hegte er keinerlei politische Ambitionen, auch das Militär und die Jagd interessierten ihn nicht sonderlich. Bestimmten gesellschaftlichen Verpflichtungen konnte er sich als Repräsentant des Kaiserhauses dennoch nicht entziehen, wollte er die Gunst seines ältesten Bruders nicht aufs Spiel setzen. So hatte er hochrangige Persönlichkeiten zu empfangen, Ausstellungseröffnungen vorzunehmen oder kulturelle Events zu besuchen. Letzteres bevorzugte er schon mehr, vor allem Tanzveranstaltungen sowie Opern- und Theaterbesuche zählten zu seinen favorisierten Aufgaben. 

Als erster Erzherzog ließ er sich ein Palais an der Ringstraße beim Schwarzenbergplatz errichten, um ein wenig der Kontrolle des Hofes zu entkommen, der er in der Hofburg ständig ausgesetzt war. In seinem eigenen Palais, das 1866 fertiggestellt wurde, konnte er ungehindert seinen Vorstellungen eines unbeschwerten Lebens nachgehen, mit zahlreichen Privilegien ausgestattet und finanziell gut versorgt. 

Vielfach wurde sein äußeres Erscheinungsbild als zu wenig männlich und geziert beschrieben, sein angeblich arrogantes Benehmen soll des Öfteren Unmut in der Öffentlichkeit erregt haben. Fürstin Nora Fugger, eine Salonnière des Wiener Hochadels, hielt in ihren Aufzeichnungen fest, dass der Erzherzog »über eine Zunge scharf wie eine Giftschlange verfüge. In alles mischte er sich ein, spann daraus Intrigen und freute sich, wenn daraus kleine Skandälchen wurden.« Ihn deshalb und wegen seiner in der Familie bekannten Homosexualität zu einem »wunderlichen Erzherzog-Bubi« zu diffamieren, wird ihm dennoch nicht ganz gerecht. 

Möglicherweise kann die Familiengeschichte ein wenig zur Klärung von »Luziwuzis« Situation beitragen. Es ist kaum bekannt, dass Erzherzogin Sophie auch Mutter einer Tochter war. Die sieben Jahre vor Ludwig Viktor zur Welt gekommene Maria Anna Karolina Pia, genannt »Ännchen«, galt als fröhliches und lebhaftes Kind. Erzherzogin Sophie schrieb anlässlich eines Besuches in Bayern voll Stolz, dass »Ännchen hier sehr viel succès hat und man es rasend treibt mit ihr«. Doch im Winter des Jahres 1839/40 begann die kleine Erzherzogin zu kränkeln, wobei sich das Krankheitsgeschehen nicht klar nachzeichnen lässt. Die Aufzeichnungen sprechen von hohem Fieber und Krampfanfällen, die die kleine Patientin zunehmend schwächten. Dr. Malfatti, der Hausarzt der kaiserlichen Familie, verordnete die damals üblichen, jedoch aussichtslosen Hausmittel. So wurden ihr die wunderschönen Haare abgeschnitten und Blutegel angelegt. Im Jänner 1840 durfte die Kleine das Krankenlager verlassen, um ihrer Mutter zum Geburtstag gratulieren zu können. Die Besserung war nicht von Dauer. Bereits einige Tage danach verschlechterte sich der Zustand der Vierjährigen. Der nun eintretende Rückfall war besorgniserregend. Erzherzogin Sophie verließ das Krankenbett ihrer Tochter nicht mehr und musste schmerzvoll den Tod von Ännchen miterleben. 

Die Geburt eines weiteren Kindes, Ludwig Viktor, diente nicht mehr dem Zweck, die Dynastie Habsburg zu erhalten, sondern ist nach dieser tragischen Erfahrung als »Geschenk des Himmels« zu verstehen. Während der kleine Franzi (Franz Joseph) besonders auf seine zukünftigen Aufgaben als Herrscher vorbereitet, Maxi (Ferdinand Maximilian, der spätere Kaiser von Mexiko) als »Schattenbruder« erzogen wurde und der liebe Karli (Karl Ludwig, Vater des späteren Thronfolgers Franz Ferdinand) schon weitestgehend von dynastischen Plänen verschont blieb, wurde der kleine »Bubi« (Ludwig Viktor) verhätschelt und zur Tatenlosigkeit verdonnert. 

Er dürfte durchaus Gefallen am »Dandy-Dasein« gefunden haben, so sehr, dass er die Pläne seines Bruders, Kaiser Maximilian von Mexiko, zu durchkreuzen wusste: Da dessen Ehe kinderlos blieb, hegte er die Idee, seinen jüngeren Bruder als Nachfolger auf diesen Thron vorzuschlagen. Daraus wurde nichts, denn Ludwig Viktor lehnte dieses Ansinnen kategorisch ab. 

Ludwig Viktor machte aus seiner homophilen Neigung keinen Hehl. Es existieren keine Berichte, wonach er deshalb familiär gemieden wurde oder es Auseinandersetzungen mit Franz Joseph gegeben hätte. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie groß damals die Angst der Allgemeinheit vor »unzüchtigem Verhalten« war, und dass Homosexualität in der adeligen Welt mit »Hochsicherheitsgefährdung und Staatsverschwörung« gleichgesetzt wurde.

Erst als Ludwig Viktor einem jungen Mann eindeutige Avancen im Wiener Centralbad (in der Weihburggasse) machte, kam es zum wirklichen Eklat. Abgesehen von der Ohrfeige, die Ludwig Viktor vom Ziel seiner Begierde noch im Bad verabreicht worden war, kam es in Folge zu einem Handgemenge. Dieser öffentliche Skandal konnte nicht mehr ignoriert werden und zwang den Kaiser zum Handeln. Er sicherte sich die Unterstützung des für Ludwig Viktor langjährig tätigen Obersthofmeisters Franz Freiherr von Wimpffen, der – obwohl zu dieser Zeit bereits pensioniert – die heikle Angelegenheit mit viel Taktempfinden zu regeln verstand. Ludwig Viktor war ohnehin seit den 1860er-Jahren als Vertreter Franz Josephs auch in Salzburg ansässig, und nun legte ihm Wimpffen nahe, sich dorthin zurückzuziehen. Nicht ganz unschuldig an dieser »Verbannung« Ludwig Viktors dürfte der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand gewesen sein, der dem Kaiserbruder nicht gerade große Sympathien entgegenbrachte. 

Weit weg von Wien lebte Ludwig Viktor nun im Schloss Kleßheim, das ihm bereits im September 1866 mittels Schenkungsurkunde von Kaiser Franz Joseph  I. vermacht worden war. Da das dortige Sommerschloss schwer beheizbar war, hatte Ludwig Viktor durch den Architekten Heinrich von Ferstel, der bereits für ihn das Palais am Ring konzipiert hatte, ein Winterschloss auf dem Kleßheimer Areal errichten lassen. Hier konnte Ludwig Viktor seinen Interessen für das neue Medium der Fotografie und seiner Sammelleidenschaft des blau-weißen Meißener Porzellans nachgehen. Außerdem wurden ein Tennisplatz und ein Swimmingpool sowie ein Badehaus angelegt. 

Von Kleßheim aus unternahm Ludwig Viktor in den folgenden Jahren wiederkehrende Reisen an den Gardasee, mit seinem Automobil besuchte er das Kaiserstädtchen Ischl, wo er die Mehlspeisen in der Konditorei Zauner genoss.

Besondere Verdienste sollte er sich für die Stadt Salzburg erwerben. Er förderte den Salzburger Kunstverein sowie die Errichtung eines Künstlerhauses und trug mit 100.000 Kronen wesentlich zur Sanierung der Stadtfinanzen bei. Weiters unterstützte er die Errichtung einer Volksschule, einen Seidenbau-Verein und die neu gegründete Zentralanstalt für Fischzucht in Salzburg. Im Jänner 1910 ließ er die »Erzherzoglich Ludwig Viktor’sche Familienstiftung« errichten, Vermögensverwalter war der damalige Ministerpräsident Josef Freiherr Gautsch von Frankenthurn. 

Ab 1915 verschlechterte sich der Gemütszustands Ludwig Viktors, weswegen er für unmündig erklärt wurde. Zum Kurator bestellte man Erzherzog Eugen, den letzten weltlichen Hochmeister des Deutschen Ordens, der dieser Aufgabe mit großem Pflichtbewusstsein nachkam. Stets an der Seite des Erzherzogs blieb der ihm treu ergebene Kammerdiener Mathias Aicher, der gemeinsam mit Ludwig Viktors Nichte, Erzherzogin Marie Valerie, an dessen Totenbett am 18. Jänner 1919 anwesend war.

Gemäß dem Wunsch von »Luziwuzi« wurde zwei Tage nach seinem Ableben ein Herzstich vorgenommen, ehe der Leichnam des »entbehrlichen Erzherzogs« seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof der benachbarten Pfarrkirche von Siezenheim fand.

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