Leseprobe

Auszug aus dem Artikel

»Vom Wurstelprater zum Messegelände«

von Regina Engelmann

Nicht nur die Anzahl der Gebäude und der Teilnehmer sollte alle bisherigen Weltausstellungen übertreffen, auch das Gelände selbst maß mit 233 Hektar das Fünffache der Pariser und das Zwölffache der Londoner Weltausstellung der Jahre 1867 bzw. 1851.

Schon lange bevor Kaiser Franz Joseph am 24. Mai 1870 die »Abhaltung einer im Frühjahr 1873 zu eröffnenden internationalen Ausstellung« bewilligte, gab es Bestrebungen zur Durchführung einer »Industrie-Ausstellung« in Wien. Bereits im Jahr 1866 hatte der Kaiser die Genehmigung erteilt, die Praterwiese dafür zu nutzen. Damals standen jedoch noch andere Areale wie die Exerzierplätze auf der Schmelz und am Josefstädter Glacis (heute Standort des Wiener Rathauses) oder die Simmeringer Haide zur Diskussion. Bei der Endabstimmung im Wiener Gemeinderat gab es gleich viele Stimmen für das Josefstädter Glacis und den Prater. Für ersteres sprach die zentralere Lage und die bessere Infrastruktur, doch war die verfügbare Fläche vergleichsweise klein und der unbefestigte Platz seit Jahren bei Regen als Schlamm- und bei Trockenheit als Staubwüste berüchtigt. Der Prater war größer und hatte eine bessere Verkehrsanbindung an die Eisenbahn und den Schiffsverkehr am Donaukanal – Vorteile, die seine dezentrale Lage wettmachten. Auch der feuchte Boden und die häufig wiederkehrenden Überschwemmungen waren kein Hindernis, zumindest nicht für den damals amtierenden Bürgermeister Andreas Zelinka, der mit seiner Stimme die Entscheidung für den Prater herbeiführte.

Ein weiterer Pluspunkt des Praters war seine Wald- und Aulandschaft: Mit ihren alten Bäumen und Wegen versprach sie Erholung und sollte in ihrem ursprünglichen Zustand belassen werden. Der angrenzende Wurstelprater galt ebenso als beliebte Attraktion, auch wenn er in den Augen der Ausstellungsorganisatoren »ein buntes, aber keineswegs ästhetisches Bild« darstellte. Insbesondere der Zustand so mancher Praterhütten und Gastwirtschaften war eher angetan, zweifelhafte Klientel anzulocken, anstatt den gehobenen Ansprüchen des erwarteten internationalen Publikums zu genügen.

Abhilfe sollte die im Dezember 1871 gegründete »Praterregulierungskommission« schaffen. Obmann war Heinrich Ritter von Maurer, Mitglied des Weltausstellungskomitees und Geschäftsbesitzer am Kohlmarkt, als Leiter der Umgestaltung fungierte der Landschaftsplaner Lothar Abel. Als erste Maßnahme verfügte man die Umbenennung in Volksprater. Es folgte die Erstellung eines Generalplans, der eine Neugestaltung der Hütten und ihre symmetrische Anordnung sowie die Modernisierung von Straßen und Infrastruktur vorsah, damit auch der Wurstelprater »von der Cultur beleckt« werde. Das notwendige Geld sollte von den Praterhüttenbesitzern selbst aufgebracht werden, indem zusätzlich zum Pachtzins ein Regulierungsbeitrag eingehoben wurde. Die Hütten der Besitzer, die sich die dadurch verdreifachten Kosten nicht leisten wollten oder konnten, wurden entschädigungslos demoliert. Andere Betriebe hingegen vergrößerten sich beträchtlich, wie etwa das Erste Kaffeehaus, das seine Besucherkapazität auf 6 000 Gäste erweiterte und eine Bühne für 100 Musiker errichtete. Auch das Angebot wurde »internationaler«: In gleich zwei »amerikanischen Trinkhallen« schenkte man »alle Sorten englischer, amerikanischer, russischer und indischer Liqueurs« aus. Besonderer Beliebtheit erfreute sich das Fahrrad, das »Velociped«: Um Spaziergänger nicht zu gefährden, war dessen Benützung jedoch nur auf angelegten Bahnen gestattet.

Im Frühjahr 1872 begannen großflächige Planierungsarbeiten zur Anlage neuer Straßen. Fast 45 000 Quadratklafter (umgerechnet über 160 000 Quadratmeter) wurden geebnet und bepflanzt. Man verbesserte die Wasserver- und -entsorgung, und jeder Besitzer einer größeren Hütte hatte eine Gasbeleuchtung zu installieren und ausreichend »Anstandsorte« bereitzustellen. Trotz der finanziellen Auflagen stieg die Anzahl der Hütten um mehr als das Doppelte auf über 180. Kritische Stimmen wurden von der offiziellen Presse übertönt, die die »kleine Zahl Unverbesserlicher, die jeden Düngerhaufen als ein Stück von Alt-Wien für heilig und unantastbar hielt« in die Schranken wies und lobte, dass sich nun auch »der anständige Wiener Bürger mit Frau und Kind« in den Prater wagen konnte, »ohne Gefahr zu laufen, daß der Pöbel ihn ausplündert«.

Das angrenzende Weltausstellungsgelände verfügte über rund 116 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche und befand sich zwischen der Hauptallee, dem Volksprater, der Donau und der Krieau. Um alle Ausstellungsbereiche zu besichtigen, hätte es rund 40 Tage bedurft. Für in ihrer Mobilität eingeschränkte Besucher standen Mietrollstühle »unter der Leitung elegant livrirter Führer« zur Verfügung.

Eine weitere Attraktion platzte im wahrsten Sinne des Wortes: Ein Fesselballon sollte aus 500 Metern Höhe eine Übersicht über das Gelände bieten. Doch bei der Probefahrt wurde dieser »Ballon captif« von einem Sturm mitgerissen und erst Tage später völlig zerstört kurz hinter der ungarischen Grenze aufgefunden.

In Anbetracht der erwarteten Besuchermassen plante man eine moderne Infrastruktur, weit moderner, als sie die Stadt Wien selbst besaß. Man legte befestigte Alleen und Wiesen an. Die Imperial Continental Gas-Association installierte eine Gasbeleuchtung mit rund 6 000 Laternen. Zur Wasserversorgung errichtete man einen Wasserturm und drei eigene Wasserwerke, die Wasser aus den unteren Schichten der Donauschotter für Trinkwasserversorgung und Bewässerung förderten und die die drei- bis vierfache Kapazität der damaligen Wiener Wasserleitung aufwiesen. Es gab 260 top-moderne »Water-Closets«, 240 Pissoirs und 150 Waschbecken. Eine eigene Kanalisation wurde errichtet, die Abwässer gelangten allerdings direkt in den Donaukanal.

Auch um die Gesundheit und die Sicherheit der Ausstellungsbesucher war man bemüht. Ein eigener Sanitätsdienst betrieb am Ausstellungsgelände eine Zentralstation mit einer kleinen Ambulanz und mehrere Sanitätsstationen. Ein Militär-Sanitätswagen stand für Schwerverwundete zur Verfügung, eine Hebamme hatte Bereitschaftsdienst, doch – wie die Internationale Ausstellungs-Zeitung berichtete – war diese nicht immer zeitgerecht zur Stelle: Eine Dame, der in einem der Restaurants »plötzlich unwohl« wurde, »genas nach kurzer Zeit unter Beistand eines rasch herbeigerufenen Ausstellungsarztes eines Mädchens«, noch bevor die Hebamme einlangte.

Die Genietruppen des Militärs stellten einen »Feuerlösch- und Sicherheitsdienst« mit neuesten Spritzen und Pumpen, einem »completen Requisitenkarren« und Wasserwägen mit 500 Liter Fassungsvermögen. Über eine Wasserleitung wurde Löschwasser von der Donau in 40 Meter hohe Behälter gepumpt. So konnte der Brand, der trotz strikten Rauchverbotes am Gelände Anfang August beim »Elsässischen Bauernhaus« ausbrach, rasch gelöscht werden.

Es gab darüber hinaus einen eigenen Sicherheitsapparat. 1869 wurde die Wiener Sicherheitswache gegründet, die die von Maria Theresia installierte Militär-Polizeiwache ablöste und über fremdsprachenkundige Beamte verfügte. Eine eigene Einheit war dem Weltausstellungsgelände zugeteilt, sie umfasste 700 Mann zu Fuß und 80 Mann zu Pferd.

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